Straßenmarkierungen und Systeme für autonomes Fahren

Straßenmarkierungen bleiben im Zeitalter des stufenweisen autonomen Fahrens entscheidend für alle Arten von Leitsystemen. Robert N. Dingess, CEO der US-amerikanischen Mercer Strategic Alliance und Policy Director für eine weltweite Straßenmarkierungsallianz, erklärt warum.
 

Ordnungsgemäß angebrachte und gut gepflegte Straßenmarkierungen bieten eine wichtige Orientierung für Autofahrer, Fußgänger und Radfahrer. Straßenmarkierungen sind heute ein sehr wichtiges Element für die Straßensicherheit und ich werde häufig gefragt, ob diese Markierungen im Zusammenhang mit der Zunahme maschinengelenkter Systeme auch weiterhin denselben Stellenwert haben werden. In Presseberichten bedeutender Player in der Automobilindustrie wurde darüber gemutmaßt, dass der Tag kommen wird, an dem wir keine traditionellen Verkehrsleitmittel (Ampeln, Verkehrszeichen, Markierungen) mehr brauchen werden. Es ist zwar schwierig, die Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung vorherzusagen, aber es ist – von einigen Ausnahmen einmal abgesehen – sehr wahrscheinlich, dass die Straßen in 50 Jahren noch so aussehen werden wie heute. Straßenmarkierungen können sogar noch an Bedeutung gewinnen, wenn mehr automatisierte Fahrzeugsysteme eingesetzt werden. Um vollständig verstehen zu können, warum das so ist, muss man sich ansehen, wie automatisierte Fahrzeugsysteme aufgebaut sind und wie sie funktionieren. Die Society of Automotive Engineers (SAE) und das US-Verkehrsministerium haben kürzlich Unterlagen veröffentlicht, die fünf verschiedene Automatisierungsstufen beschreiben. Diese Stufen präzisieren die Rolle von Mensch und Maschinensystemen beim Lenken und Steuern von Fahrzeugen. Die erste Automatisierungsstufe bietet Fahrerassistenz durch verbessertes Bremsen, Spurhaltesysteme oder Warnungen, wenn das Fahrzeug über die Straßenmarkierung hinaus gerät.

Die zweite Automatisierungsstufe integriert diese Technologien in ein fortschrittliches Geschwindigkeitsregel- und Lenksystem, das die Straßenmarkierungen als Orientierung zur Lenkung des Fahrzeugs nutzt. Einige Systeme der zweiten Automatisierungsstufe arbeiten so, dass sie das vorausfahrende Fahrzeug erfassen und diesem einfach auf der gleichen Spur folgen. Auf den Stufen eins und zwei wird von den menschlichen Fahrern erwartet, dass sie das Fahrzeug überwachen und gewährleisten, dass die Systeme sicher arbeiten. Das Tesla™ Model S ist ein Beispiel für ein Fahrzeug der zweiten Automatisierungsstufe. Da diese Fahrzeuge häufig die Straßenmarkierungen direkt erfassen, sind ordnungsgemäße Anbringung und Wartung der Markierungen unerlässlich. Die SAE und die American Society of Highway and Transportation Officials (AASHTO) arbeiten an der Entwicklung einer gemeinsamen Spezifikation für Straßenmarkierungen, die auf die Unterstützung von Level 2- Bildverarbeitungstechnologien abgestimmt ist.

Der Übergang von der zweiten zur dritten Automatisierungsstufe
ist ein schwieriger. Er erfordert entscheidende Entwicklungsschritte in Politik, Ablauf und Technologie. Die meisten Hersteller, die sich mit der Entwicklung der dritten Automatisierungsstufe beschäftigen, integrieren neue laserbasierte Technologien, wie z.B. LiDAR, mit dem Ziel, eine visuelle 360°-Rundumsicht zu schaffen. Andere setzen auf die Entwicklung digitaler Infrastrukturkarten, die die Straße scannen und virtuell neu erstellen. Wieder andere versuchen, Elemente all dieser Technologien in einer Reihe von redundanten Lenk- und Leitsystemen zusammenzuführen. Auf der dritten Stufe kann der menschliche Fahrer das Fahren des Fahrzeug sicher dem automatisierten System überlassen. Menschliche Fahrer müssen die Kontrolle über das Fahrzeug wieder übernehmen, wenn sie das System entsprechend warnt. Es wurde noch kein Standard festgelegt, wie lange es dauern darf, bis der menschliche Fahrer wieder die sichere Kontrolle übernommen hat. Voraussichtlich werden Fahrzeugsysteme der dritten Automatisierungsstufe zunächst in stark kontrollierten Bereichen eingesetzt (Schnellbussysteme, Mautstraßen).

Ein automatisiertes System der vierten Stufe kann mit wenigen Ausnahmen (Schnee, heftiger Regen) in allen Bereichen sicher betrieben werden. Sobald der Fahrer das automatisierte System aktiviert hat, arbeitet es, ohne dass die Aufmerksamkeit des Fahrers erforderlich ist.

Ein automatisiertes System der fünften Stufe kommt komplett ohne menschliche Interaktion aus. Es gibt viele Gründe davon auszugehen, dass Straßenmarkierungen ihre Bedeutung – unabhängig von der Stufe der Automatisierung – auf absehbare Zeit beibehalten werden. Erstens gibt es aktuell keine kommerziell verfügbaren automatisierten Fahrzeugsysteme der Stufen 3 bis 5. Zweitens sind viele Experten der Überzeugung, dass die Komplexität von Fahrbahnen und Straßen der Einführung von Systemen der fünften Automatisierungsstufe in den nächsten 50 bis 75 Jahren im Weg stehen wird. Drittens werden zukünftige Straßenbetreiber – unabhängig von der Geschwindigkeit der Fortschrittes bei den automatisierten Fahrsystemen – sehr wahrscheinlich Fahrbahnen für einen Mix aus Mensch, Maschine und vollständig automatisierten Systemen bis weit über das Jahr 2050 hinaus beibehalten. In diesem gemeinsam genutzten Bereich wird die Bedeutung von Markierungen eher zunehmen als abnehmen. Die Stufen drei und vier der Automatisierung werden von der verbesserten Einbindung von Straßenmarkierungen beim sicheren Navigieren durch systemische Problemzonen wie z. B. Baustellenbereiche profitieren. Es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass speziell zugewiesene Markierungsfarben, wie z.B. orange für Arbeitsbereiche oder violett für Mautspuren, häufiger für die Unterstützung von Bildverarbeitungssystemen eingesetzt werden. Das 21. Jahrhundert wird als das Zeitalter des automatisierten Verkehrs in die Geschichte eingehen und das sollte sich auch in einem soliden und erfolgreichen Markt für Straßenmarkierungen widerspiegeln.